Vielseitiges Arbeitstier: VW Crafter fährt fast wie ein Pkw - n-tv.de

2023-02-28 14:08:28 By : Mr. jiadele xu

VW baut den Crafter mittlerweile ohne Daimler-Hilfe und scheint damit ganz gut zu fahren.

Als Multitalent rühmt Volkswagen den neuen Transporter vom Typ Crafter. Damit das auch die Kunden so sehen, gibt es nahezu 70 verschiedene Varianten. Ob das reicht, um gegen die ehemaligen Partner von Mercedes zu bestehen, muss sich aber noch erweisen.

Platzprobleme bei der Beladung des Crafters dürfte es kaum geben.

Gegen Marktführer anzutreten, ist für Volkswagen eine ungewohnte Übung. Bei den Personenwagen sind sie in Deutschland bei vielen Fahrzeugklassen Spitze. Bei Transportern wie dem Crafter lässt der große Erfolg noch auf sich warten. Doch das hindert die in Hannover ansässige Nutzfahrzeug-Sparte von VW nicht daran, mit großem Einsatz und Ehrgeiz den neuen Crafter in den Markt zu schicken. Und mit großem Risiko, denn schließlich wurde für die Produktion der Eigenentwicklung extra eine neue Fabrik in Polen gebaut.

Die kann nach derzeitigem Stand rund 100.000 Crafter pro Jahr fertigen. In dieser Zeitspanne werden in Europa mehr als 600.000 Transporter, Pritschen- und Kastenwagen, Kipper und Kombis dieser Fahrzeuggattung verkauft. Allein in Deutschland waren es zuletzt rund 140.000. Genügend Luft also aus Sicht der VW-Verantwortlichen, um den Crafter zu einem Erfolg zu machen. Die Sache hat jedoch einen Haken und der heißt Daimler. Der Sprinter von Mercedes-Benz ist nicht nur die unumstrittene Nummer 1 im Segment, sondern auch das technische Vorbild des ersten Crafters, der aus dem Schatten des Schwaben-Wagens nie richtig heraus fahren konnte.

Neben dem Kastenwagen gibt es weitere Aufbauvarianten.

Um dieses Joch abzuschütteln, hat Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) einen enormen technischen Aufwand getrieben. Den neuen Crafter gibt es wahlweise mit Einzel- oder Doppelkabine (die bis zu sieben Plätze vorhält), Front-, Allrad- oder Heckantrieb, in drei verschiedenen Längen und drei Dachhöhen, mit Handschaltung oder Automatik und mit einer Aufbauten-Vielfalt, die ihresgleichen sucht. Eine Elektroversion ist in Vorbereitung, nächstes Jahr soll eine Variante mit bis zu 5,5 Tonnen Gesamtgewicht nachgeschoben werden. VWN liebäugelt auch mit der Erweiterung um ein Wohnmobil, wie die Studie California XXL auf der Frankfurter Automobil-Ausstellung zeigte. Damit würden die Hannoveraner den Fiat Ducato angreifen, der dort das meistverwendete Fahrzeug ist. Gleichzeitig sind beim Crafter Assistenzsysteme in einer Fülle verfügbar, wie sie einer veritablen Business-Limousine zur Ehre gereichen würden.

Das alles hat freilich seinen Preis. Zwar sind die Berganfahrhilfe und eine Multikollisionsbremse sowie bei den geschlossenen Aufbauten die Seitenwind-Stabilisierung als Standard-Ausstattung verbaut, wer aber so nützliche Dinge wie Flankenschutz, Einpark-Assistent oder die Rangierhilfe für Anhängerfahrten haben möchte, verteuert seinen Crafter erheblich. Voraussetzung für die letztgenannten Merkmale ist die elektromechanische Lenkung, die erstmals in einem Fahrzeug dieser Gattung verbaut wurde. Der "Trailer-Assist", wie die Rangierhilfe für Anhänger genannt wird, basiert auf der Erfassung durch die Rückfahrkamera und macht den Verstellknopf für die elektrischen Außenspiegel zum Joystick für das Manövrieren des Anhängers. Inklusive Spurhalte-Assistent und Totwinkel-Überwachung kommt das optionale Angebot auf 19 verschiedene Fahrhilfen.

Der Arbeitsplatz ist funktional und wirkt recht wertig.

Transportern wie dem Crafter wird deshalb eine rosige Zukunft vorausgesagt, weil sie vom wachsenden Markt der Kurier- und Logistik-Dienste ebenso gebraucht werden, wie von Kundendienstanbietern, Handwerkern, Bau- und Forstwirtschaft. Letzteren, da zuweilen in unwegsamem Gelände unterwegs, dürften die Allradmodelle gefallen. Prinzipiell sind diese Autos als Fronttriebler mobil, per Haldex-Kupplung kann bei Bedarf bis zu 100 Prozent des Antriebsmoments auf die Hinterachse geleitet werden.

Nutzer mit hohem Warenumschlag, die häufig be- und entladen müssen, werden wohl eher zum reinen Fronttriebler greifen, denn der hat eine um 10 Zentimeter niedrigere Ladekante, was das arbeitende Personal erheblich entlastet. Lieferanten, die in künftig möglicherweise für Verbrenner gesperrte Innenstädte vordringen müssen, dürfte der E-Crafter ein zuverlässiger Partner sein. 200 ausgewählte Kunden sollen Ende des Jahres in den Genuss kommen, die versprochene emissionsfreie Reichweite von 100 Kilometern zu testen. Nicht nur technisch bietet ein Auto wie der Crafter Vorteile, sondern auch rechtlich. Der Pkw-Führerschein reicht für den Lenker aus, der Verzicht auf Fahrtenschreiber und Tempolimit macht ihn auch für nicht speziell qualifiziertes Personal nutzbar.

Bis zu einer maximalen Länge von 7,40 Meter streckt sich das Nutzfahrzeug, was den doppelten Abmessungen eines Kleinwagens entspricht und zumindest eine gewisse Eingewöhnungsphase sinnvoll erscheinen lässt. Unter dem hohem Dach stehen in diesem Falle 18,4 Kubikmeter Stauraum zur Verfügung. Doch wer die Investition in die multiple Überwachungs- und Warnsensorik nicht scheut, bewegt den Crafter im Nu sicher und zügig. Dabei hilft nicht zuletzt der zwar schlichte, aber übersichtliche und Pkw-nahe Innenausbau der Kabine. Ein stark zur Senkrechten geneigtes Lenkrad vermeidet ein allzu großes Lkw-Feeling, Bedien-Elemente und -Logik dürften den Fahrern auch aus ihrer privaten Automobil-Praxis vertraut sein. Die Lenkung ist rückmeldefreudig und das Kupplungspedal der Handschaltungs-Versionen äußerst sensibel, was beim Rangieren sehr hilfreich sein kann.

Ist der Crafter unbeladen, spürt man auf unebenem Untergrund die robuste Fahrwerks-Konstruktion und die harte Blattfederung der Hinterachse, aber das geht nicht anders, denn immerhin müssen die Lastesel auch vollgepackt sicher und leicht zu beherrschen sein. Als genügsam stellte sich während einer Testfahrt die stärkste Version des Zweiliter-Turbodiesels heraus. Der 177-PS-Kastenwagen mit Achtgang-Automatik absolvierte seine Probestrecke mit 8,4 Litern Verbrauch je 100 Kilometer und hatte dabei noch mehr als 600 Kilogramm Gewicht an Bord. Wie sehr der Luftwiderstand das Ergebnis beeinflussen kann, bewies ein Ausflug mit dem 140-PS-Chassis, Handschaltung und so genanntem Kofferaufbau. Nach straffer Autobahnfahrt meldete der Bordcomputer dieser rollenden "Schrankwand" 13,2 Liter/100 Kilometer.

Ein Sonderangebot ist der neue Crafter freilich nicht, denn unter knapp 37.000 Euro geht nur etwas, wenn der Händler einen ordentlichen Rabatt einzuräumen bereit ist. Kommen dann noch Assistenzsysteme hinzu, wie etwa 1320 Euro für das Einpark- und Anhänger-Manövriersystem oder 955 Euro für den Abstandstempomaten, wird die Firmenkasse gleich ordentlich geschröpft. Dass diese Beträge, wie bei Gewerbetreibenden üblich, erst einmal als Nettosummen in der Kalkulation auftauchen, macht die Sache nur geringfügig besser.